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Was halten die Parteien von der Ersatzstimme?

Das wollten wir wissen und haben sie einfach mal gefragt. Über die Plattform Abgeordnetenwatch haben wir im August 2023 den sechs Obleuten, die von den Bundestagsparteien damals in die Wahlrechtskommission des Deutschen Bundestags entsandt worden waren, die folgende Frage vorgelegt:


"Wie steht Ihre Partei zu der Idee, die Sperrklausel bei Bundestagswahlen um eine Ersatzstimme zu ergänzen?"

Sehr geehrte/r Frau/Herr... ,
da Sie als Obmann der … in die letzte Wahlrechtskommission gewählt worden sind, möchte ich Sie fragen, wie denn Ihre Partei zu einer (klassischen) Ersatzstimme steht?

Damit ist nicht eine Ersatzstimme für Erststimmen gemeint, wie sie ja 2022 von den Ampelfraktionen in die öffentliche Debatte eingebracht worden ist. Vielmehr bezieht sich meine Frage auf eine Ersatzstimme für Zweitstimmen, mit welcher sich die negativen Auswirkungen von Sperrklauseln - die sowohl Wähler/innen wie auch Parteien jeder Größe treffen können - abmildern lassen.

Ich stelle Ihnen diese Frage, weil der Verein Abstimmung21 demnächst eine bundesweite Probe-Volksabstimmung zur Einführung einer Ersatzstimme starten wird. Damit wir im Abstimmungsheft angeben können, welche der im Bundestag vertretenen Parteien sich positiv, neutral oder negativ zur Ersatzstimme positionieren, würden wir uns über eine zeitnahe Antwort freuen. Vielen Dank!



Hier die erhaltenen Antworten in chronologischer Reihenfolge:


Ansgar Heveling (CDU), 29.08.2023:

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihr Interesse an meiner Stellungnahme zu Ihrer Frage vom 25. August.

Der Kontakt zu den Mitbürgern liegt mir sehr am Herzen. Zum direkten Kontakt gehört für mich aber auch, dass mir die wesentlichen Daten - also zumindest der Name, die Anschrift und eine E-Mail-Adresse - meines jeweiligen Gegenübers bekannt sind. Sehr gerne bin ich für den Dialog mit Ihnen unter meiner E-Mail-Adresse, per Fax (030/ 22776235) oder per Post (Platz der Republik 1, 11011 Berlin) jederzeit erreichbar und freue mich, wenn Sie mich hier direkt kontaktieren. Dabei bemühe ich mich, Ihrem Anliegen schnellstmöglich nachzugehen.

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich mit Ihren Fragen und Anregungen direkt an mein Büro wenden.

Mit freundlichen Grüßen
Ansgar Heveling MdB

Anmerkung: Herr Heveling erhielt die Frage wie gewünscht umgehend per E-Mail zugeschickt... doch es kam niemals eine Antwort.


Sebastian Hartmann (SPD), 20.09.2023:

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich als Obmann der Wahlrechts­kommission gerne beantworte.

Eine Einführung einer zweiten Listenstimme im Sinne einer Ersatzstimme, die nur dann zu berücksichtigen wäre, wenn die mit der Zweitstimme gewählte Partei unter 5 % bliebe, lehnen wir ab.

Eine solche Ersatzstimme könnte dazu führen, dass Wählerinnen und Wähler im Sinne eines Freischusses einer Partei ihre Stimme geben, ohne dass damit die notwendige Ernsthaftigkeit verbunden wäre, die eine Wahlentscheidung erfordert. Denn es würde ja immer noch eine weitere Stimme berücksichtigt.

Da diese Ersatzstimme wahrscheinlich einer größeren Partei gegeben wird, die sicher über 5 % der Zweitstimmen erhält, würden damit im Endeffekt die größeren Parteien gestärkt.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Hartmann


Susanne Henning-Wellsow (Die Linke), 27.09.2023:

Sehr geehrter Herr Björn B.,

das Konzept der Ersatzstimme, wie Sie es in Ihrer Frage vorschlagen, wurde nicht in der Wahlrechtskommission thematisiert.

Dem Ansinnen von einer höheren demokratischen Beteiligung und Repräsentanz stehe ich offen gegenüber und halte es für dringend notwendig, dass mehr Menschen an demokratischen Prozessen partizipieren können. Die Stimmabgabe ist jedoch nur ein Teil davon.

Das Konzept einer Erstsatzstimme sehe ich eher kritisch. Das hat mehrere Gründe und kommt auch auf die genaue Ausgestaltung an. Wichtig wäre aus meiner Sicht z.B., dass die Abgabe einer Ersatzstimme nicht verpflichtend sein dürfte.

Das Grundproblem einer Ersatzstimme liegt aus meiner Sicht aber in der Annahme, dass dadurch eine höhere demokratische Repräsentanz erreicht würde. Wenn ich eine Partei wähle, die dann aber aufgrund der Sperrklausel nicht in das Parlament einziehen darf, erhöht sich die Repräsentanz nicht zwingend durch eine Ersatzstimme. Die Partei, die die Ersatzstimme in dem Fall erhalten würde, wird meine Interessen vermutlich nicht so stark vertreten, weil es eben nur meine zweite Wahl ist. Die politische Vertretung könnte auch außerparlamentarisch erfolgen. Hinzu kommt, dass sich Menschen eventuell von gar keiner zweiten Partei vertreten fühlen.

Das Problem ist aus meiner Sicht die Sperrklausel und andere ausschließende Wahlgesetze. Millionen Menschen in Deutschland dürfen nicht wählen, weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ihren Wohnsitz aber schon seit Jahren in Deutschland haben. Darum hat meine Fraktion ein Wahlrecht für Menschen gefordert, die seit 5 Jahren ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Ein weiterer Punkt zur höheren Beteiligung und Repräsentanz wäre die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Das Problem der Sperrklausel könnte recht einfach dadurch gelöst werden, indem man sie auf 3% herabsetzt oder sie komplett abschafft. Die Arbeitsfähigkeit eines Parlaments würde dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die Geschäftsordnung des Bundestags, in der die Fraktionsgröße geregelt wird, würde ja immer noch gelten.

Mit freundlichen Grüßen
Susanne Hennig-Wellsow


Dr. Albrecht Glaser (AfD), 22.02.2024:

Sehr geehrter Fragesteller,

Glückwunsch zu Ihrer Initiative und dem damit verbundenen Engagement für eine lebendige Demokratie!

Ihre Modellüberlegungen habe ich mir zum Zweck der Beantwortung Ihrer Frage auf der Webseite Ihrer Initiative angesehen. Ihr Modell möchte zukünftig eine Erststimme und eine Zweitstimme sowie eine Ersatz­zweit­stimme für eine weitere Partei zulassen. Die Ersatz­zweit­stimme soll nach meinem Verständnis zum Zuge kommen, wenn die Zweitstimme an der Sperrklausel scheitert und die Ersatz­zweitstimme nicht. Was wäre aber in dem Fall, dass auch die Ersatzzweitstimme an der Sperrklausel scheiterte? Dann wäre die Zweitstimme offenbar nach Ihren Über­legungen eine Stimme, die nicht zählte. Man wäre also bei Zählpräferenz geradezu gezwungen, eine Ersatzzweitstimme für eine etablierte Partei abzugeben. Das ist ein interessanter Vorschlag, der aber aus dem genannten Grund abzulehnen ist. Weiterer Grund für Kritik an Ihrem Modell ist aus meiner Sicht, dass es auf diese Weise Verzerrungen bei dem Prinzip "One man, one vote", mithin bei der Wahlgleichheit bzw. der Stimmgewichtung käme.

Natürlich ist es immer so, dass jedes Wahlrecht Faktoren beinhaltet, die zu Verzerrungen führen. Unser Bestreben muss es sein, diese möglichst klein zu halten. Darüber hinaus sollten wir uns weiter Gedanken über mehr direktdemokratische Elemente im Wahlrecht machen und dabei auch die wahlrechtsbedingte Übermacht der politischen Parteien beschränken. Nach Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz wirken Parteien bei der politischen Willensbildung mit. Unter dieser Prämisse sollte sich eine Wahlrechtsreform durchsetzen können, die dem Bürger mehr direkte Wahlfreiheiten einräumt. Wir haben dies jüngst mit unserem Vorschlag zur Reform des Bundestagswahlrecht versucht. Mit unserem Modell wollten wir dem Wähler z.B. die Möglichkeit geben, einen Listenaufstieg bei der Zweitstimme zu ermöglichen. Leider scheint die Zeit für eine derartige Praxis noch nicht reif.

Gerne würde ich mich dazu weiter mit Ihnen austauschen, dieses Forum ist aber schon aus Datensparsamkeitsgründen nicht der geeignete Ort. Nehmen Sie gerne Kontakt mit mir über den Deutschen Bundestag auf.

Herzliche Grüße,
Albrecht Glaser


Till Steffen (Bündnis90/Die Grünen), 18.04.2024:

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Frage.

Ich bin überzeugt, dass wir ein starkes neues Wahlgesetz verabschiedet haben als Ampelkoalition. Die Ergänzung der Sperrklausel durch eine Ersatzstimme ist hier kein Teil davon, da wir das im Rahmen des erneuerten Wahlgesetzes an dieser Stelle nicht als ein geeignetes Instrument angesehen haben.

Viele Grüße
Till Steffen


Konstantin Kuhle (FDP), 04.07.2024:

Sehr geehrter Herr B.,

die Idee, bei der Bundestagswahl neben der bisherigen Erst- und Zweit­stimme eine Ersatzstimme einzuführen, um Überhang- und Ausgleichs­mandate und damit eine massive Vergrößerung des Bundestages zu verhindern, geht auf einen Vorstoß meiner beiden Kollegen und mir als Berichterstatter der Ampel-Fraktionen für das Wahlrecht zurück. Die Diskussionen im Parlament und in der Öffentlichkeit haben uns jedoch davon überzeugt, dass eine solche Lösung aufgrund ihrer Komplexität auf Akzeptanz- und Legitimations­probleme stoßen würde. Deswegen haben wir im weiteren Verlauf der Verhandlungen über die Wahlrechtsreform von dem Vorstoß Abstand genommen und schließlich ein Wahlrecht beschlos­sen, bei dem es ebenfalls keine Überhang- und Ausgleichs­mandate mehr gibt, das diesen Effekt jedoch über die so genannte Zweit­stimmen­deckung erreicht. Das bedeutet: Eine Partei erhält immer nur so viele Sitze, wie ihr nach der Zweitstimme zustehen. Ich freue mich, dass diese Reform gelungen ist.

Mit freundlichen Grüßen,
Konstantin Kuhle




 

 
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