Gegen den Zwang zur KoalitionsbildungJörg Valeske bespricht hier das Buch "Konsequente Demokratie - Für die Beseitigung des Zwanges zur Koalitionsbildung" von Jack Meitmann, erschienen 1992 im Frieling-Verlag Berlin, 91 Seiten. Da das Buch heutzutage nur noch in gut sortierten Bibliotheken oder in Antiquariaten erhältlich ist, hat Jörg Valeske dankenswerterweise eine Kurzfassung der Thesen des Buches erstellt, die im nachfolgenden abgedruckt wird. In diesem Text möchte ich das von Jack Meitmann vorgeschlagene Wahlverfahren durch Numerieren, eine der von ihm beschriebenen Voraussetzungen für konsequente Demokratie, zusammenfassend erläutern. Im Text beziehen sich die Zahlen in eckigen Klammern [n] auf die Kapitelnummern im Buch, was das Nachschlagen erleichtern soll. Anmerkungen von mir sind als solche gekennzeichnet. Meitmann nennt drei wesentliche Mängel bei der Wahl zum Deutschen Bundestag [6]:
Da bei den Wahlen nur selten absolute Mehrheiten erreicht werden, gibt es einen Zwang zur Koalitionsbildung [18]. Dieser Zwang hat eine Reihe von Nachteilen. Zusammengefasst schreibt Meitmann, eine Koalitionsregierung ist instabil, ihre Politik ist von Zufällen geprägt, und ihre Arbeit besitzt wenig Effizienz. Ausführlich geht Meitmann auf die folgenden nachteiligen Folgen des Zwanges zur Koalitionsbildung ein [19]: 1.) Einschränkung der Macht des Volkes [20]:
2.) Koalitionsgespräche beschränken die innerparteiliche Demokratie [21]. Eine Kontrolle der Spitzenpolitiker durch Parteimitglieder ist wegen der Geheimhaltung eingeschränkt. In Koalitionsverhandlungen gibt es Kompromisse, Tauschgeschäfte, Verzicht auf die Durchsetzung bestimmter Interessen eines Teils der Wähler. Statt politischer Argumente zählen Verhandlungsgeschick und Berechnung, probeweise werden übertriebene Forderungen aufgestellt, um das Nachgeben des "Partners" zu testen. Nachgegeben wird zumeist auf jenen Gebieten, die wenig Wählerstimmen kosten, also auf denen der eigenen Stammwähler. Eine Alternative wäre die offene Kontrolle des Verhandlungsverlaufes, doch dies würde zu Scheinverhandlungen führen, und die echten Verhandlungen fänden im Verborgenen statt. 3.) Geringe Handlungsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Regierung [22]: 4.) Unzulängliche Meinungs- und Willensbildung in den Parteien [23]: 5.) Fragwürdige Auseinandersetzungen der Parteien [24]: 6.) Verminderte gegenseitige Kontrolle der Parteien [25]: 7.) Erschwerung demokratischer und zugleich unnachgiebiger Politik [26]: 8.) Bedrohung der Demokratie [27]: 9.) Rechtfertigung für die Benachteiligung kleiner Parteien [28]: Ebenso ziehen die großen Parteien unterschiedliche politische Strömungen an, und die Diskussionen zwischen ihnen finden eher innerhalb der Parteien statt, wo sie durch die Wähler schlechter verfolgt werden können. Einen weiteren Mangel sieht Meitmann in der Bildung von Wahlkreisen [8]. Bei unverändertem Wahlverhalten können sich je nach Lage der Wahlkreisgrenzen verschiedene Sitzverteilungen der einzelnen Parteien ergeben. Die Sitzverteilung bringt damit den Willen der Wähler nicht eindeutig zum Ausdruck und ist nicht demokratisch einwandfrei. Ebenso wirken sich Bevölkerungsbewegungen zwischen den Wahlen auf die Wahlergebnisse aus. Von Zeit zu Zeit muss die Wahlkreiseinteilung verändert werden, um zu sichern, dass jeder Wahlkreis annähernd gleich groß ist. Keine dieser Wahlkreiseinteilungen ist die gerechteste, vernünftigste oder sonst vorzuziehende, und keine Kommission kann daran etwas ändern. Dieser Einfluss von Zufall und Willkür ist undemokratisch. Meitmann sieht deshalb den Einheitswahlkreis als erforderlich an [9]. Jack Meitmann sucht also nach einem Wahlverfahren, das die verfassungsmäßigen Grundsätze erfüllt und keine der genannten Mängel aufweist: Als ungeeignete Alternativen nennt er [10]:
- reine Mehrheitswahlverfahren, da der Sieger möglicherweise gegen den Willen einer absoluten Mehrheit der Wähler ermittelt wird, Nur in Ausnahmefällen geeignet ist eine Wahl in mehreren Wahlgängen [11]. Hierbei wird in einer reinen Verhältniswahl nach jedem Wahlgang, in dem der Sieger keine absolute Mehrheit erreicht hat, der letztplatzierte Kandidat von der Liste der Kandidaten gestrichen und unter den verbleibenden Kandidaten erneut gewählt. Dies wird fortgesetzt, bis der Sieger eine absolute Mehrheit der Stimmen erreicht. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn nur noch über zwei Kandidaten abgestimmt wird. Dann ist zwar theoretisch ein 50:50-Ergebnis möglich, aber praktisch entweder sehr unwahrscheinlich oder dadurch ausgeschlossen, dass die Zahl der Stimmberechtigten ungerade ist. Ergibt sich die absolute Mehrheit erst nach einigen Wahlgängen, so wird sie trotzdem dem Willen einer absoluten Mehrheit der Wähler so weit wie irgend möglich entsprechen und diesen Willen im Parlament widerspiegeln. Der Nachteil dieses Verfahrens ist die große Zahl von Wahlgängen. Zum Beispiel sind bei 10 Kandidaten bis zu 9 Wahlgänge denkbar, bis eine absolute Mehrheit für den Wahlsieger feststeht. Dieses Verfahren eignet sich deshalb nur für wenige Gelegenheiten, bei denen eine Wahlmüdigkeit verhindert werden kann. Ein bekanntes Beispiel für dessen Anwendung ist die Wahl des Austragungsortes der Olympischen Spiele durch das IOC. Auf jeden Fall geeignet: Auswahl durch Numerieren [12]:Die erforderlichen Wahlgänge können jedoch vorweggenommen werden, indem der Wähler mitteilt, wie seine Stimme zu zählen ist, wenn sein Favorit nicht mehr zu den Kandidaten gehört. Diese Mitteilung erfolgt hier durch Numerieren der kandidierenden Parteien. Wenn auch der zweitbeste Kandidat nicht mehr "im Rennen" ist, gilt die Stimme für den drittbesten, usw. Der Wähler teilt durch diese Numerierung die Reihenfolge seiner Wertschätzung mit. Die Wahlgänge werden durch Auszählungsgänge ersetzt, die im gesamten Wahlgebiet gemeinsam erfolgen. Gibt es nach der ersten Auszählung keine absolute Mehrheit für die führende Partei, so werden die Stimmen, die der letztplatzierten Partei zugeordnet waren, auf die Parteien aufgeteilt, die gemäß der Numerierung auf diesen Stimmzetteln als Zweitbeste ausgewählt wurden. Gibt es nach dem folgenden Auszählungsgang wiederum keine absolute Mehrheit für die führende Partei, so werden ebenfalls die Stimmen, die der nun letztplatzierten Partei zugeordnet waren, auf die Parteien aufgeteilt, die gemäß der Numerierung auf diesen Stimmzetteln als Nächstbeste ausgewählt wurden. Dies wird solange wiederholt, bis die führende Partei eine absolute Mehrheit errungen hat. Diese Partei gilt als gewählt, und die Auszählung ist beendet. Fehlerhafte Stimmzettel, zum Beispiel wenn der Wähler einer Partei mehrere Nummern oder mehreren Parteien dieselbe Nummer zuordnet, werden aussortiert, wenn zu einem Zeitpunkt kein eindeutiger Favorit erkennbar ist. Sie können aber später wieder fehlerfrei sein, wenn die Fehler durch Ausscheiden der betroffenen Parteien gegenstandslos geworden sind. Kein Fehler ist es jedoch, wenn die Numerierung nicht mit 1 beginnt oder Lücken hat. Lediglich die Reihenfolge der Wertschätzung muss erkennbar sein. Wenn auf einem Stimmzettel keine weiteren Parteien numeriert sind, hat der Wähler damit dem Ungültigsein seines Stimmzettels freiwillig zugestimmt. Das Ergebnis der weiteren Auszählung hat von vornherein seine Zustimmung. Und auch wenn im Laufe der Auszählung die Zahl der gültigen Stimmzettel abnimmt, entspricht doch das Ergebnis so weit wie irgend möglich dem Willen der absoluten Mehrheit der Wähler. Vorteile des Numerierens [13]:
Das Wählen durch Numerieren ist ein Verfahren der Alternativ- bzw. Eventualstimmgebung [14]. Der Wähler hat eine Stimme und gibt zusätzlich Hinweise, wie diese zu zählen ist, falls sie bei der bevorzugten Verwendung wirkungslos bleiben sollte. Anmerkung von mir: Dieses Verfahren ist also kein fauler Kompromiss zwischen Mehrheits- und Verhältniswahl. Dieses Verfahren erfüllt die Ziele von Mehrheits- und Verhältniswahl gleichzeitig: Das Wahlergebnis ist exaktes Abbild der Meinung der Wähler und es erreicht eine absolute und damit handlungsfähige Mehrheit des Wahlsiegers. Der Nachteil einer Wahl durch Numerieren ist der gegenüber jetzigen Verfahren erhöhte Aufwand bei der Auszählung. Verglichen mit Wahlen, bei denen kumuliert und panaschiert werden darf, ist allerdings auch kein nennenswerter Mehraufwand abzusehen. In der Praxis angewendet wird ein solches Verfahren zum Beispiel in Australien. Im Unterschied zu dem von Jack Meitmann vorgeschlagenen Verfahren Meitmann geht auch auf die optimale Größe der absoluten Mehrheit im Parlament ein [15]. Diese soll ohne Tricks immer zu einer absoluten Mehrheit der Regierungspartei bei Abstimmungen führen. Meitmann schlägt eine Mehrheit von ungefähr 55% vor, schreibt aber nicht, woher dieser Wert kommt und wie er erreicht werden soll. Ein weiteres Thema ist die Verteilung der Sitze auf die Oppositionsparteien [16]: Meitmann nennt 2 extreme Möglichkeiten: 1.) Die Sitze werden unter der Opposition nach den Ergebnissen in der ersten Auszählung aufgeteilt. Dadurch ist ein breites Spektrum von Meinungen im Parlament vertreten. Anmerkung von mir: Diese Variante halte ich für verfassungswidrig, da ein Teil der Wählerstimmen mehrfach im Parlament auftaucht. 2.) Es soll eine starke einheitliche Opposition geben. Deshalb wird die Auszählung solange fortgesetzt, bis nur noch 2 Parteien übrigbleiben: Regierung und Opposition. Vorschlag von mir: Für die Sitzverteilung gelten genau die Anteile an den Wählerstimmen, die während der Auszählung zum Zeitpunkt des Erreichens der absoluten Mehrheit der Regierungspartei ermittelt wurden. Danach wird nicht weiter ausgezählt. Da nur noch Parteien und keine Einzelpersonen mehr auf den Stimmzetteln stehen, geht Jack Meitmann auch auf die Vergabe der Sitze an die Abgeordneten jeder Partei ein [17]. Er schlägt folgende Varianten vor: Alle Varianten sind demokratisch, man sollte die Entscheidung für das Verfahren der jeweiligen Partei überlassen. Eine Mitwirkung bei einer losen oder freien Liste sollte jedoch nur durch diejenigen Wähler erfolgen, die auch diese Partei gewählt haben (Anmerkung: in Amerika heißt das wohl "closed primary"). Es wäre widersinnig, einem Wähler Mitbestimmung in einer Liste zu ermöglichen, von der er wünscht, sie möge schlechter platziert sein als sein Favorit. Die Aufstellung der Kandidatenlisten muss laut Meitmann durch die Partei selbst erfolgen. Vier Voraussetzungen für konsequente Demokratie [1]:Das Wahlverfahren durch Numerieren ist für Jack Meitmann eine Voraussetzung für "konsequente Demokratie". Sie umfasst die Erfüllung von vier Voraussetzungen: 1.) ein parlamentarisches Regierungssystem [2], bei dem ein Parlament eine Regierung wählt und diese absetzen darf. Die Parlamentsmehrheit und die Regierung gehören zur gleichen Fraktion und arbeiten eng zusammen. Diese Voraussetzung ist in Deutschland auf Bundesebene erfüllt. Das Gegenteil davon bezeichnet Meitmann als präsidielles Regierungssystem, das zum Teil eine Lähmung der Leitungstätigkeit und der Demokratie hervorruft. 2.) die Leitung des Staates nur durch Parlamentsmehrheit und Regierung [3] ohne politische (nicht jedoch juristische) Eingriffe anderer Organe. Als Problem in Deutschland sieht Meitmann den Bundesrat, da dieser in bestimmten Fällen befugt ist, das Inkrafttreten von Gesetzen erheblich zu erschweren oder zu verhindern. Anmerkung von mir: Bei einem Teil der Wähler scheint es üblich zu sein, bei Landtagswahlen so zu wählen, dass der Mehrheit im Bundestag eine Mehrheit der jeweiligen Oppositionsparteien im Bundesrat gegenübersteht. Diese Mehrheiten würden sich dann gegenseitig kontrollieren, damit keine der Parteien allein herrschen und dadurch allzu übermütig werden kann. Dies ist aus historischen Gründen nachzuvollziehen, zeugt jedoch nicht gerade von großem Vertrauen der Wähler in die heutigen Parteien. Die Macht des Bundesrates ist sicherlich ein Thema für eine eigene Diskussion, die unabhängig von der zum Thema Wahlverfahren stattfinden kann. 3.) ein konsequent demokratisches Wahlsystem für die Parlamentswahl [4], welches sicherstellt, dass immer 4.) vorgezogene Neuwahlen durch Volksbegehren und Volksentscheid [5]. So kann das Volk jederzeit die Leitung des Staates von einer Partei auf eine andere übertragen. Diese Möglichkeiten gibt es bereits in einigen Bundesländern in unterschiedlicher Form. Auf Bundesebene ist hierfür eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Auch hierzu kann und sollte eine eigene Diskussion stattfinden. Die Vorschläge von Jack Meitmann gelten für die Wahl zum höchsten deutschen Parlament, dem Deutschen Bundestag. Sinngemäß lassen sie sich aber für jedes Länder- oder Kommunal-Parlament anwenden, was eine testweise Einführung des oben beschriebenen Wahlverfahrens erleichtern dürfte. |