Einspruch

vorgebracht beim
Deutschen Bundestag
Bundeshaus
Görresstraße 15
53113 Bonn

eingelegt von
Gerhard Kottschlag,
geboren am xx.xx.19xx,
Staatsangehörigkeit deutsch,
wohnhaft Am Marienhain 14, 57234 Wilnsdorf,
Korrespondenzadresse: Feuerbacher Weg 15, 31139 Hildesheim

gegen

das vom Bundeswahlausschuß ermittelte und am 14.10.1998 verkündete amtliche Endergebnis der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag am 27.09.1998.


Begründung

  1. Die Anwendung des §78 Abs.2 Satz 1 in der Alternative 5b) der Bundeswahlordnung sowie des §6 Abs.6 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes verstößt gegen §1 Abs.1 Satz 2 des Bundeswahlgesetzes sowie gegen Artikel 3 Abs.3 Satz 1 und Artikel 38 Abs.1 Satz 1 des Grundgesetzes und ist daher verfassungswidrig.


    Gleichheit der Wahl

    Der Gesetzgeber hat sich zur Durchführung der Bundestagswahlen für das Verhältniswahlrecht entschieden, dies unterliegt dem Erfordernis des gleichen Erfolgswerts jeder Wählerstimme. Hiervon kann der Gesetzgeber nur bei zwingenden Gründen abweichen.

    Die in §6 Abs.6 Satz 1 Bundeswahlgesetz verankerte Sperrklausel hat zwei zum Gleichheitsgrundsatz einschränkende Auswirkungen:
    1. Eine Partei, die bei der Wahl nicht mindestens 5% der Zweitstimmen auf sich vereinigt, kann keine Abgeordneten über ihre Landeslisten in den Bundestag entsenden. Damit einher geht eine Beschränkung des passiven Wahlrechts der Listenkandidaten dieser Partei.

    2. Das Zweitstimmen-Votum von Wählern wird bei der Zusammensetzung des Bundestags nicht berücksichtigt, sofern sie eine Partei gewählt haben, die weniger als 5% der Zweitstimmen erhielt. Dies ist eine Ungleichbehandlung beim aktiven Wahlrecht, da die Stimmen nicht gleichen Erfolgswert haben.

    Die Beschränkung der Gleichheit der Parteien und des passiven Wahlrechts ihrer Kandidaten findet ihre Rechtfertigung in der Schutzwirkung gegen die Zersplitterung des Parteienspektrums im Bundestag und der daraus entstehenden Gefahren bei der Bildung einer handlungsfähigen Regierung.

    Eine Einschränkung im aktiven Wahlrecht kann nicht mit den gleichen Argumenten gestützt werden. Sie wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie zwingende Voraussetzung für die Errichtung der Schutzwirkung ist, also dieser Schutz nicht ohne die Beschränkung des aktiven Wahlrechts erreicht werden könnte. Dem Gesetzgeber steht es bei der Ausgestaltung der Sperrklausel nicht frei, jede beliebig weite Einschränkung der Rechte des Wählers vorzunehmen, sondern er muß sich auf das unabdingbar notwendige Maß beschränken, um den Zweck zu erreichen. Gerade bei der Einschränkung verfassungsgesicherter Rechte der Bürger hat der Gesetzgeber einen weit geringeren Gestaltungsspielraum, als bei der Ausgestaltung gewöhnlicher gesetzlicher Bestimmungen.

    Die 5%-Sperrklausel soll erhöhte Anforderungen an die Integrationsfähigkeit der Parteien stellen, sie ist nicht zulässig als Nahelegen eines bestimmten aktiven Wahlverhaltens oder gar als Maßregelung für ein Abweichen des Wählers weg von den großen politischen Strömungen in der Gesellschaft.

    Im Wahlgesetz ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber in ausreichendem Maß versucht hat, ein Verfahren zu finden, dessen Beschränkungen zum Gleichheitsgrundsatz sich nur auf die Behandlung der Parteien und ihrer Kandidaten auswirken und die Gleichbehandlung der Wählervoten durch gleichen Erfolgswert im höchstmöglichen Maß erhält.

    Wie im weiteren noch dargelegt wird, sind auch andere Auszählungsvarianten möglich, die eine 5%-Sperrklausel in vollem Umfang sicherstellen, aber Gleichheit im aktiven Wahlrecht weit weniger beschneiden, so daß die Regelung im Bundeswahlgesetz nicht die kleinstmögliche Einschränkung darstellt.


    Freiheit der Wahl

    Auch die Freiheit der Wahl ist in vermeidbarer Weise verengt. Bei der Stimmabgabe zur Bundestagswahl ist der Wähler in seiner Entscheidung nicht frei, die Partei zu wählen, die seine politischen Ziele am besten repräsentiert, sondern er wird in die Wahlentscheidung auch taktische Überlegungen mit einbeziehen. Die schwierige Situation ist hinreichend bekannt: Der Wähler muß berücksichtigen, daß die von ihm favorisierte Partei eventuell nicht die 5%-Sperrklausel schafft und damit die Stimme für die Durchsetzung seiner Interessen verloren wäre, ja eventuell gerade dem politischen Gegner am meisten nützt. Die Alternative wäre die Stimme für eine Partei abzugeben, die zwar nur einen Teil der Ziele vertritt, aber mit größerer Wahrscheinlichkeit in den Bundestag einzieht und somit die Interessen wenigstens zum Teil vertreten kann. Somit kann ein Wähler, der eine kleine Partei favorisiert, seine Wahlentscheidung nicht frei treffen, das Auszählungsverfahren setzt ihn unter Druck, mit dem Strom zu schwimmen und eine große Partei zu wählen, um nicht in die Gefahr zu geraten, alles zu wagen und alles zu verlieren.

    Da diese Einschränkung der Wahlfreiheit nicht alle Wahlberechtigten gleichermaßen trifft, stellt sie auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, denn ein Wähler mit Präferenz für eine der großen Parteien kann ganz sicher sein, daß sein Votum sich in der Zusammensetzung des kommenden Bundestags widerspiegelt und er daher keinerlei Risiko eingeht, wenn er seine Stimme genau nach seiner politischen Überzeugung abgibt.

    Ein Anhänger einer kleinen Partei hat nicht diese Gewißheit, er muß die oben beschriebenen taktischen Überlegungen anstellen und ggf. bei der Wahl von seiner Überzeugung abweichen, um nicht am Ende leer auszugehen.


    Verbot der Benachteiligung wegen politischer Anschauung

    Wenn ein Wähler mit seiner Stimme bewußt neue politische Strömungen fördern will, und zwar wegen ihres Neuheitsgehalts, z.B. mit dem Zweck, zusätzliche Alternativen in die parlamentarische Auseinandersetzung mit bekannten Vorstellungen zu bringen, so hat er fast keine Aussicht, an der Zusammensetzung des Bundestags mitwirken zu können. In den vergangenen Jahrzehnten hat es nur eine einzige neue Kraft mit konstruktiven Programminhalten geschafft, in Bundestag und Landtage einzuziehen und sich dort einigermaßen dauerhaft zu etablieren, trotz der großen ungelösten gesellschaftlichen Probleme. Demgegenüber sind radikale Parteien immer wieder vorübergehend erfolgreich, wenn sie sich als Protestpartei dem Wähler präsentieren, denn so sammeln sie gerade bei den Wählern Stimmen, denen es egal ist, wenn ihr Votum nicht im Parlament erscheinen, sondern verfallen würde.

    Die 5%-Sperrklausel an sich mag eine Schutzfunktion für die Demokratie haben, die ersatzlose Nichtbeachtung der entsprechenden Wählerstimmen stellt aber eine Gefahr für die Demokratie dar und hebt den Schutzeffekt zum Teil wieder auf. Die destruktiven kleinen Parteien werden von ihr nicht nennenswert beeinträchtigt, aber konstruktive Kleinparteien und ihre neuen Ideen engagierter Mitbürger im Keim erstickt, ihre Wähler sehen sich ihres Einflusses auf die Staatsgewalt beraubt. Zudem gibt die Regelung den radikalen Parteien Nährstoff für die Argumentation, sie hätten großen Rückhalt im Volk, die Ergebnisse der Wahlen zeigen auf Grund der beschriebenen Effekte gar nicht die wahre Stärke der Bewegung. Da die evolutionären Kräfte unterdrückt werden, steigt die Gefahr revolutionärer Veränderungen und außerparlamentarischer Strömungen.

    Der Auszählmodus hat darüber hinaus den Effekt, daß die 5%-Hürde faktisch auf 6-10% ansteigt, denn eine Partei mit einer Anhängerschaft um 5% verliert immer einige ihrer Stimmen, weil einige Wähler eben nicht das Risiko eingehen wollen, daß ihr Votum völlig untergeht. Erst wenn sich bei allen Wählern die Meinung herausgebildet hat, daß eine Partei sicher die 5%-Hürde schaffen wird, spielt dieser Effekt keine wesentliche Rolle mehr.


    Nachweis eines die Grundrechte weniger belastenden Wahlverfahrens

    Für die Schlüssigkeit der Begründung ist es notwendig, zumindest ein mögliches Wahlverfahren aufzuzeigen, das die grundgesetzlich geschützten Rechte in deutlich höherem Maß berücksichtigt, und dennoch die Sperrklausel des passiven Wahlrechts aufrechterhält.

    Ein solches Verfahren stellt dem Wähler frei, mit seiner Zweitstimme nicht allein die Partei zu bestimmen, die seine (einzige) Stimme erhalten soll, sondern auch zu verfügen, wer für den Fall des Scheiterns an der 5%-Sperrklausel dann in den Genuß seiner Stimme kommen soll. Dies ist nicht als Stimmabgabe unter Vorbehalt zu werten, da nicht der Wahlberechtigte, sondern der Gesetzgeber den Vorbehalt ausspricht. Die Verfügung des Wählers dient gerade der Abwehr von Nachteilen, die durch den gesetzlichen Vorbehalt entstehen können.

    Praktisch kann diese Verfügung erfolgen, indem der Wähler die Partei seiner Wahl mit einer "1" kennzeichnet, und die im Falle der 5%-Sperrklausel ersatzweise bedachte Partei mit einer "2". Sollte auch diese Partei scheitern, kann die Stimme an eine weitere Partei mit der Kennzeichnung "3" weitergegeben werden u.s.w. bis schließlich eine Partei in der Auflistung erscheint, die über 5% gekommen ist oder die Verfügung des Stimmberechtigten mittels der Numerierung endet. Hierbei kann die Weitergabe auf solche Parteien beschränkt werden, die schon in der Erstauszählung über 5% gekommen sind, oder aber auch eine Akkumulierung der "ererbten" Stimmen als Überspringen der 5%-Sperrklausel gewertet werden, denn dies beweist eine große Integrationskraft des von dieser Partei vertretenen Programms. Zudem basiert die Akkumulierung nicht auf einer Listenverbindung, sondern auf dem Wählerwillen.

    Das Verfahren hat folgende Vorteile:
    Die 5%-Hürde bleibt weiterhin bestehen und mit ihr der Schutz vor Parteizersplitterung;
    Durch eine ausreichend lange Verfügungsnumerierung steht es jedem Wähler selbst frei, dafür Sorge zu tragen, daß sein Votum bei der Zusammensetzung des Parlaments berücksichtigt wird; alle taktischen Abwägungen werden überflüssig; innovative Ideen werden nicht mehr dadurch behindert, daß sie nicht primär gegen Sachargumente kämpfen, sondern gegen die Meinung, sie hätten noch nicht genug Rückhalt im Volk; gegen den Strom zu schwimmen wirkt sich nicht mehr nachteilig aus;
    Wer sich von den beschriebenen Problemen nicht betroffen fühlt, kann auf den unveränderten Wahlzetteln wie bisher nur mit einem Kreuz und ohne Numerierung seine Stimme abgeben, für ihn ändert sich nichts, niemand verliert eines seiner Rechte oder wird in seinen Rechten stärker eingeschränkt, als bei der bestehenden Regelung;
    Der Mehraufwand des Verfahrens ist verschwindend gering, im Vergleich zum Gesamtaufwand zur Durchführung der Wahl.
    Das Beispiel soll nachweisen, daß eine Lösung erarbeitet werden kann, die die verfassungsgemäßen Rechte der Wähler weit weniger einschränkt, als bisher.


    Antrag

    Aus den vorgenannten Gründen beantrage ich, das amtliche Endergebnis der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag in geeigneter Weise zu korrigieren.



    Hildesheim, den 23.10.1998

    Gerhard Kottschlag